Karriere 2018: Ein antiquierter Begriff in Zeiten agiler Organisationen?

Karriere 2018: Wie werden Karrieren heute gemacht? In Hays-Blog, Interview mit Bernd Slaghuis.

Karriere 2018 - X SIEBEN

Fotoquelle: Pixabay

Hays: Herr Slaghuis, was bedeutet Karriere für Sie?

 

Slaghuis: Ich definiere Karriere als die berufliche Entwicklung eines Menschen passend zu seinen aktuellen persönlichen Werten und Zielen im Leben und im Beruf. Unsere Ziele und Werte können sich im Laufe des Lebens verändern. Das, was uns mit Mitte 40 im Beruf wichtig ist, ist meist etwas anderes, als es zum Zeitpunkt des Berufseinstiegs der Fall war.

Ich sehe in der Arbeit mit Angestellten, dass die Identifikation mit einem Arbeitgeber, seinen Produkten oder Dienstleistungen und das eigene Sinnempfinden von Arbeit in der Lebensmitte stärker in den Vordergrund rücken als das Streben nach Erfolg oder mehr Einfluss und Status, wie es in jungen Jahren eher typisch ist.

Viele Klienten, die zu mir ins Coaching kommen, weil ihr Beruf sie frustriert und sie etwas verändern möchten, arbeiten zum Teil schon seit Jahren gegen ihre wichtigsten Werte an. Sie stecken fest im gewohnten alten Karriere-Hamsterrad aus „höher, schneller, weiter“ und haben nicht bemerkt, dass sich ihr Leben und ihre Wertvorstellungen mit der Zeit verändert haben.

Im Coaching geht es darum, dieses Bewusstsein neu zu schaffen und die berufliche Entwicklung so anzupassen, dass das, was heute und in den nächsten Jahren wirklich wichtig ist, wieder besser erfüllt ist. Und so ist auch der Schritt von der Führungsposition zurück ins Team genauso ein individuell sinnvoller Karriereschritt wie ein Branchenwechsel oder der Quereinstieg in ein ganz neues Berufsfeld.

Karrieren dürfen heute vielfältig sein. Das alte Bild von Karriere als rotem Faden aus Aufstieg, Statusgewinn und steigender Verantwortung hat an Gültigkeit verloren – übrigens inzwischen über alle Generationen hinweg. Karriere wird stattdessen immer stärker persönliche Ansichtssache.

 

Hays: Seilschaft oder Planung? Wie werden Karrieren idealerweise gemacht?

Slaghuis: Ich bin kein Befürworter von langfristiger Karriereplanung. Wer sich nach dem Studium entscheidet, in 20 Jahren Vorstandsvorsitzender eines DAX-Konzerns zu werden, der läuft heute Gefahr, in diesem Tunnelblick viele Chancen rechts und links des Weges zu übersehen oder irgendwann gefühlt in einer Sackgasse zu stecken.

Ich halte es für wichtig, die eigenen Wert- und Zielvorstellungen regelmäßig, vielleicht einmal im Jahr, zu hinterfragen und den beruflichen Weg frühzeitig flexibel daran anzupassen. Karrieren werden also nicht gemacht, sondern eigenverantwortlich gestaltet. Wenn es hilfreich ist, hierfür persönliche Kontakte oder „Seilschaften“ zu nutzen – warum nicht?

 

Hays: Was meinen Sie, Herr Slaghuis: Glück oder Zufall oder doch eigenes Können – wie sehr spielt dies jeweils eine Rolle bei der Karriereplanung?

Slaghuis: Es geht vor allem um die eigene Klarheit, gepaart mit ein bisschen Glück und Zufall. Ich sehe in der Karriereberatung, dass die Klarheit darüber, was im Beruf wirklich wichtig und welches Arbeitsumfeld das richtige ist, die Basis für einen guten nächsten Karriereschritt ist.

Wer diese Klarheit für sich nicht besitzt, der stochert blind im Nebel der bunten Stellenausschreibungen herum und läuft Gefahr, zufällig irgendwo zu landen, wo es am Ende vielleicht nicht passt und die Suche von Neuem beginnt.

Viele Arbeitnehmer glauben, dass sie auf ihre Karriere keinen Einfluss haben, und halten aus in der Hoffnung auf irgendeine glückliche Fügung, die sie befreit und endlich zu ihrer Berufung führt. Womöglich gibt es solche Zufälle, doch mit eigenverantwortlicher Gestaltung der beruflichen Entwicklung als Chef des eigenen Lebens hat dies nichts zu tun.

Ich bin der Überzeugung und sehe dies täglich in meiner Arbeit, dass jeder Arbeitnehmer unabhängig von Ausbildung und bisheriger Berufserfahrung vielfältige Möglichkeiten besitzt, etwas zu verändern und einen Weg zu finden, der zu mehr Zufriedenheit, Glück oder Erfolg im Beruf und Leben führen wird, und diesen bewusst beschreiten zu können.

 

Hays: Wie müssen Unternehmen den Begriff „Karriere“ mittlerweile auffassen, um gute Talente an Bord zu holen?

Slaghuis: Viele Arbeitgeber sind bei Bewerbungen immer noch auf der Suche nach dem tiefroten Faden im Lebenslauf. Kandidaten mit ungewöhnlichen Werdegängen und insbesondere Jobwechsler, die sich bewusst für ein Downshifting oder den Quereinstieg entschieden haben, tun sich im Vergleich zu Bewerbern mit klassischem Werdegang deutlich schwerer.

Wer sagt, dass etwa ein berufserfahrener Physiker oder Ingenieur die Aufgaben im Controlling nicht genauso gut erledigen kann wie der klassisch studierte Betriebswirt? Wer sagt, dass eine ehemalige Führungskraft, die sich bewusst entscheidet, in Zukunft keine Mitarbeiterverantwortung mehr zu übernehmen, als Teil des Teams keine guten Leistungen erbringen kann? Hier sehe ich, dass viele Arbeitgeber heute noch sehr stark in altem Karrieredenken verhaftet sind – und entsprechend eindimensional im Recruiting suchen.

Als viel entscheidender erachte ich jedoch das Halten guter Talente, wenn es um neue Karrieremodelle geht. Berufliche Laufbahnen in Organisationen kritisch zu hinterfragen, altes Denken in Hierarchiemodellen aufzulösen und etwa die Führungslaufbahn mit einer Expertenkarriere gleichzusetzen, was Stellung und Vergütung betrifft.

Für alle Downshifter, auf die ich treffe, steht fest, dass sie diesen Schritt nicht bei ihrem aktuellen Arbeitgeber gehen können. Sie fürchten den Gesichtsverlust, üble Nachrede und als Schwächling abgestempelt zu werden. Dabei kann einem Arbeitgeber nichts Besseres geschehen, als einen erfahrenen Mitarbeiter zu halten und gemeinsam nach einer neuen Position zu suchen, die wieder mehr zu dem passt, was ihr oder ihm in Zukunft wirklich wichtig ist. Hier sehe ich, dass sich viele Arbeitgeber zu wenig für die Werte und Ziele der Menschen hinter den Personalnummern interessieren und Talente lieber ziehen lassen, statt individuelle Karrieren neu zu gestalten.

 

Hays: Wird ein IT- und datengestütztes Talentmanagementsystem dem Menschen in seiner Komplexität überhaupt gerecht?

Slaghuis: Ich beobachte die aktuellen Trends vor allem im Recruiting sehr kritisch. Die Suche und Auswahl von Talenten etwa durch Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) oder Big Data sind aus meiner Sicht heute mehr Spielerei und Verzweiflungstat als eine strategisch kluge Entscheidung, Menschen als Mitarbeiter zu gewinnen. Ich bin der Meinung, wir benötigen für die Auswahl von Menschen und Persönlichkeiten keine Algorithmen, sondern mehr Klarheit und Persönlichkeit auf beiden Seiten.

Ähnlich denke ich über die „Verwaltung“ der Talente innerhalb einer Organisation. Was ist das beste datengestützte Talentmanagementsystem wert, wenn Führungskräfte im Tagesgeschäft keine Zeit mehr haben, ihre eigenen Mitarbeiter zu sehen? Was nützt eine Hightech-Datenbank, wenn als Kultur im Unternehmen „Sie sollen arbeiten, nicht denken!“ angesagt ist?

Warum Talente durch stochastische Methoden und Simulationen identifizieren und entwickeln, wo es doch so viel näher liegend wäre, den Menschen zu fragen, was ihm Kraft gibt, Freude bereitet, wichtig ist und welche Entwicklungspotenziale er in Zukunft für sich entwickeln möchte? Echtes Interesse am Menschen ist in diesem Fall wertvoller als eingekaufte IT-Technologien.

Herr Slaghuis, wir bedanken uns herzlich für das Gespräch mit Ihnen.

 

Read the full article at: blog.hays.de

 

 

Wie ist Eure Erfahrung / Meinung dazu? Wir freuen uns auf die Kommentare!

X SIEBEN 4-FACH GARANTIE:
  • Zufriedenheitsgarantie
  • Rücktrittsgarantie
  • Kleingruppen-Garantie
  • Durchführungsgarantie
DIESE VERANSTALTUNG TEILEN: