Arbeitsmarkt – Agilität, Flexibilität, Burnout?

Arbeitsmarkt – Agilität, Flexibilität, Burnout?

Arbeitsmarkt – Agilität, Flexibilität, Burnout? In Süddeutsche Zeitung, von Alexander Hagelüken.

Fotoquelle: Pixabay

 

Arbeitsmarkt – Agilität: Sie sind zu unflexibel.

Firmen beschäftigen ihre Mitarbeiter nur noch nach Bedarf, gerne auch nach Feierabend. Das hätte Vorteile – wenn die Arbeitgeber ebenso anpassungsfähig wären.

Als der junge Mann einem neuen “Team für Qualität” zugeteilt wird, ist er total begeistert. Endlich eigenverantwortlicher arbeiten! Er will für die Konzerntochter den Europäischen Qualitätspreis gewinnen – und schuftet unter starkem Zeitdruck bis zur Erschöpfung.

Dann fusioniert seine Firma. Der neue Chef löst das Team auf, erklärt die Bewerbung um den Preis zur Zeitverplemperei – und fordert den jungen Mann auf, sich doch eine neue Aufgabe zu suchen.

Außerhalb der Firma.

Was der Managementcoach Axel Koch da aus dem wahren Berufsleben erzählt, das illustriert ganz gut, was gerade in deutschen Unternehmen los ist:

Sie suchen mit Hochdruck nach neuen Wegen. Die Beschäftigten sollen in Teams hierarchiefreier werkeln, eingefahrene Denkmuster sprengen. Und dadurch kreativer, schneller und kundennäher werden.

Große und kleine Betriebe in Deutschland reagieren damit, ganz klar, auf die Herausforderung durch Start-ups und US-Internetkonzerne. Sie fürchten, es könnte wahr sein, was der Ex-Manager Thomas Sattelberger behauptet.

Demnach haben deutsche Firmen in den vergangenen 20 Jahren perfektioniert, per Befehlston Kosten zu drücken, während es für die digitale Ära Innovationen braucht, die nur durch Kooperation mit den Mitarbeitern entstehen. Auch an ihrem bisherigen Tempo beginnen Firmen zu zweifeln.

Als Bosch Elemente für die Elektroautos von Tesla wie üblich binnen drei Jahren entwickeln wollte, kam aus Kalifornien die Ansage: Lieferung in neun Monaten.

 

Agilität ist eines der neuen Schlagwörter in der Arbeitswelt. Was bedeutet es eigentlich?

Eines der Zauberworte, nach denen deutsche Unternehmen sich neu ordnen, heißt Agilität. Da sollen Wissenstransfers Abteilungswagenburgen öffnen, Produkte in gemischten Teams entstehen und Projektleiter vom Befehlshaber zum Moderator mutieren. Und die Beschäftigen? Für sie wirkt sich das ganz unterschiedlich aus. Vielleicht reden sie mehr mit, statt nur Routinen zu befolgen und Ideen beim Chef versacken zu sehen. Dann entdecken sie mehr Sinn in dem Beruf, dem sie einen Gutteil ihres Tages reservieren. Und mehr Erfolg ihrer Firma schadet ja auch nicht.

Vielleicht bekommen sie durch die neuen Methoden aber nur mehr Ergebnisdruck, ohne über ein zentrales Kennzeichen ihrer Tätigkeit mitreden zu dürfen: die Arbeitsbedingungen. Und womöglich werden sie in einer Kaskade von ChangeProzessen verheizt wie der junge Mann, der einst für sein Qualitätsteam brannte. Für Beschäftigte kann sich Agilität zu positiven oder negativen Extremen auswachsen. Sie werden frei wie ein Vogel – oder vogelfrei, also zu rechtlosen Subjekten, so wie es Gerichte in früheren Jahrhunderten definierten.

 

Mobiler, flexibler, eigenverantwortlicher arbeiten

Agilität ist nur einer der Trends, die im Gefolge neuer Technologie die Berufswelt so stark verändern wie es schon Jahrzehnte nicht geschah. Rapide schwinden die Gewissheiten, die das Arbeitsleben lange bestimmten: Nur der Chef entscheidet, gearbeitet wird in der Firma, von neun bis 17 Uhr und als Festangestellter.

Nur der Chef entscheidet? In agilen Firmen soll das Team mitreden. Gearbeitet wird nur in der Firma nine to five? Laptops und Datenwolken erlauben, zu Hause um Mitternacht zu Werke zu gehen. Schon von 40 Prozent der Beschäftigten wird erwartet, dass sie nach Feierabend erreichbar sind – und drei Viertel sind im Urlaub verfügbar. Gearbeitet wird nur als Festangestellter?

Manche Firmen lösen Beschäftigungsverhältnisse noch mehr auf, als es mit Befristungen, Leiharbeit und Minijobs schon geschah. Ihr Ideal ist der selbständige Clickworker, der nach Bedarf Aufträge erledigt. Wenn Uber oder Airbnb mit minimalem Kernteam Produkte wie Taxi oder Hotel neu definieren, löst sich sogar auf, was bisher als Firma galt.Mobiler, flexibler und eigenverantwortlicher arbeiten: Auf diese Trends sollten Gesellschaft und Politik rasch Antworten finden.

Denn alle Trends sind janusköpfig, sie können jedem ein anderes Gesicht zeigen. Bestenfalls machen sie Arbeitnehmer frei wie einen Vogel, schlimmstenfalls vogelfrei. Die agilen Methoden können mehr Spaß, Sinn und Qualifizierung im lernenden Team bedeuten. Aber auch mehr Druck, Tempo und gnadenlose Leistungsmessung an digitalen Fließbändern.

Und mobiles Arbeiten? Ermöglicht erst mal mehr Freiheit. Wer berufliche Aufgaben auch mal zu Hause oder abends erledigt, kann zum Beispiel mehr für seine Kinder da sein. Wird er allerdings rund um die Uhr von der Firma beansprucht, verzerrt sich die Freiheit zur hässlichen Fratze des Burnouts.

Ähnlich janusköpfig wirkt die Existenz als selbständiger Clickworker. Es kann die Lebensqualität erhöhen, sich die Zeit einzuteilen, statt sich morgens in den Stau einzureihen, um den Statisten in der deutschen Präsenzkultur zu mimen.

Für mehrere Auftraggeber tätig zu sein, bedeutet weniger Abhängigkeit von einer Firma – und dadurch womöglich sogar mehr Sicherheit und mehr Einkommen als beim Fixlohn. Das gilt aber eher für rare Spezialisten. Konkurrieren Clickworker den Preis für austauschbare Dienstleistungen gegenseitig herunter, bestimmen Angst und Altersarmut das Bild.

Die Gefahren für Arbeitnehmer sind umso größer, je mehr Macht die Unternehmen besitzen, die Verhältnisse willkürlich zu bestimmen. Also Arbeitnehmer agil zu verheizen, rund um die Uhr zu beanspruchen und unterzubezahlen.

Die anspruchsvolle Aufgabe für Gesellschaft und Politik besteht darin, einen Ausgleich herzustellen. Eine Benachteiligung der Arbeitnehmer zu verhindern, ohne Chancen für heimische Unternehmen zu zerstören, in dem technologische Entwicklungen überreguliert werden.

Wie so ein Ausgleich aussehen kann, lässt sich gut an der aktuellen Debatte über flexibles Arbeiten analysieren. Durch Schichtarbeit, Überstunden und schwankende Einsatzzeiten passen die Unternehmen die Beschäftigung seit Langem daran an, dass Märkte globaler und Produktzyklen schneller werden.

Gleichzeitig verweigern sie jedoch Mitarbeitern Flexibilität, die ihrer Kinder wegen ein paar Jahre in Teilzeit gehen und danach in Vollzeit zurückkehren möchten, weil sie sonst um Karriere und Rente fürchten. Deshalb ist es wegweisend, dass der neue SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil jetzt Beschäftigten hilft, in dem er ein gesetzliches Rückkehrrecht formuliert.

 

So haben Firmen und Beschäftigte Vorteile

Dass Heil allerdings 25 Millionen Beschäftigte in kleineren Betrieben ganz oder teilweise ausschließt, zeigt, wie hart die Arbeitgeber (und die Union) opponieren. Die Regierung sollte den Anspruch auf mehr Arbeitnehmer ausdehnen. Und das zu einem Einstieg in ein generell flexibleres Berufsleben ausbauen, mit dem sich Herausforderungen wie Alterung und Fachkräftemangel begegnen lässt.

Die Deutschen leben länger, ohne Babys kollabieren die Sozialkassen und ohne Frauen fehlen Fachkräfte. Es sollte viel selbstverständlicher werden, Kinder zu bekommen, ihretwegen eine Weile kürzer zu arbeiten, aber dann wieder in Vollzeit zu gehen. Und das Ganze später einer Zusatzqualifikation oder älterer Angehöriger zuliebe zu wiederholen. Und Dekaden danach, wenn einer fit ist, länger in der Firma zu bleiben als heute üblich, um zum Beispiel die Rente aufzustocken.

Es sind noch weitere Flexibilitäten denkbar, die dem Arbeitnehmer helfen. Im Gegenzug könnte man auch den Firmen entgegengekommen. Und ihnen etwa erlauben, versuchsweise vom Acht-Stunden-Tag auf eine Wochenarbeitszeit überzugehen. Erst mal als Experiment und nur, wenn sie das mit Gewerkschaften aushandeln, die eine Übervorteilung der Beschäftigten verhindern.

Ein Ausgleich lässt sich auch schaffen, damit Firmen wie Beschäftigte gleichermaßen die Vorteile mobilen Arbeitens nutzen können, ohne dass die Arbeitnehmer rund um die Uhr erreichbar sein müssen. In einigen Konzernen gilt, Mails werden ab bestimmten Uhrzeiten nicht weitergeleitet. In anderen Firmen gilt nichts. Das ist zu wenig. Alle Unternehmen sollten mit Personalvertretern aushandeln, wie sich Erreichbarkeit begrenzen lässt.

Gelingen solche Lösungen auf Betriebsebene, kann sich die Regierung zurücklehnen – und so Überregulierung vermeiden. Aber sie sollte die Entwicklung genauer im Auge behalten. Sind in ganzen Branchen Arbeitnehmer ohne Interessenvertretung?

Nimmt die Belastung durch die Digitalisierung generell zu, wie jedenfalls in Gewerkschaftsumfragen anklingt?

Dann würde es Zeit, den zwischenzeitlich versandeten Plan einer Anti-Stress-Verordnung wiederaufzunehmen. Damit lässt sich auch Auswüchsen von Organisationsreformen wie Agilität begegnen. Wenn die Firma die Leistung jedes Einzelnen digital genau vermisst und dann die Anforderungen gnadenlos erhöht, überschreitet sie die Grenze.

Einer Gewerkschaft beizutreten, könnte in der digitalen Ära wieder modern werden

Das Beispiel der Agilität zeigt aber, wie komplex politisches Eingreifen in Betriebsabläufe ist. Wie lässt sich gesetzlich fixieren, wo eine Herausforderung für den Arbeitnehmer in Überforderung umkippt? Häufig erscheint es als das Beste, dieses Urteil möglichst nahe an der Praxis fällen zu lassen: Bei einer Personalvertretung, die der natürlichen Macht des Arbeitgebers etwas entgegenzusetzen hat.

Eine wichtige Aufgabe der Politik in der digitalen Ära besteht deshalb darin, Interessenvertretungen der Arbeitnehmer diesen Einfluss zu verschaffen. Also schärfer zu sanktionieren, wenn Firmen sabotieren, dass Betriebsräte gegründet werden.

Also den Geltungsbereich von Tarifverträgen zu stärken. Und dafür zu sorgen, dass vogelfreie Clickworker nicht zum Massenphänomen werden. Um das sicherzustellen, sollte die Regierung den Kostenvorteil von Firmen reduzieren, die Stammbelegschaften durch Selbstständige ersetzen.

Wie? Indem Unternehmen für jede Auftragsvergabe in einen Topf einzahlen, aus dem die soziale Absicherung der Clickworker mitfinanziert wird.

Am Ende wird es auch darauf ankommen, dass Arbeitnehmer aller Art selbst den Wert einer Interessenvertretung erkennen – und etwas dafür tun. Ganz klar, es gibt unmoderne Gewerkschaftsfunktionäre. Die Idee der Gewerkschaft an sich aber könnte angesichts der absehbaren Ungleichgewichte in der digitalen Ära kaum moderner sein.

 

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